Freitag, 23. März 2007

Kritik an einer Kritik der Zukunft

Der folgende Kommentar bezieht sich auf meine Empfehlung der ZDF-Reportage 2057 - Unser Leben in der Zukunft. Ich habe den Fehler begangen, einigen Freunden diese Sendung zu empfehlen, ohne sie zuvor selbst angesehen zu haben, in der irrigen Annahme, das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen würde seinem Bildungsauftrag ordentlich gerecht.

Meingott, ich habe gerade die ersten beiden Teile dieser Reportage im Internet angeschaut, und ich bin schockiert. Dies ist nicht gerade ein Beispiel für gute Wissenschaftsreportage. Ich entschuldige mich hiermit für den Hinweis auf diese unsägliche "Edutainment"-Sendung und rufe hiermit jeden von Euch dazu auf, Euren Fernseher in den Keller zu stellen und abzumelden (was ich selbst im übrigen vor Jahren schon getan habe, nicht ohne Grund, wie ich jetzt sehe).

Was man in dieser "Dokumentationsreihe" zu sehen bekommt ist keine Reportage, nicht einmal im Licht einer hypothetischen Projektion in die Zukunft. Etwa die Hälfte dieser Sendung besteht aus einer fiktiven Handlung, die inszinatorisch und schauspielerisch aus einer Science-Fiction-Serie des vergangenen Jahrhunderts entnommen scheint, so etwas wie "Raumschiff Enterprise" oder schlimmer noch, einem der furchtbaren Rip-Offs dieser immerhin noch stilbildenden Serie. Die dort dargestellte Handlung gehört zum hanebüchensten an Zukunftsprojektion, was ich seit langem gesehen habe: eine direkte und erstaunlich einfühlungslose Extrapolation der heutigen Verhältnisse fünfzig Jahre in die Zukunft (etwa was das Gesundheitssystem oder die Medien betrifft). Daß in fünfzig Jahren Verhältnisse herrschen, die eine phantasielose Fortschreibung dessen sind, was wir heute beobachten, das kann wirklich nur ein paar stockkonservativen Fernsehautoren einfallen. Hätten sie Ihren Auftrag ernstgenommen, über zukünftige Forschung zu informieren, so hätten sie den interviewten Forschern erlaubt, ihre eigenen Ansichten der Zukunft zu beschreiben. Doch anscheinend muß die fernsehkompatible Zukunft dem primitiven Soap-Opera-Schema einer Raumschiff-Enterprise-Folge genügen, um sendefähig zu sein. Ich hoffe doch sehr, daß dieser Umstand mehr über das verdrehte Urteilsvermögen der Autoren aussagt als über ihr Publikum.
Die neben der überflüssigen Rahmenhandlung zusätzlich noch auftretende Moderation heischt bemüht um Zuschaueraufmerksamkeit, indem der Buchautor Frank Schätzing (in einer aufdringlichen Einblendung hartnäckig als "Wissenschaftsautor" betitelt) als Fernsehmoderator auftritt, um dem ganzen eine Art pseudowissenschaftlicher Autorisation zu verleihen. Wer ist dieser Mensch? Ich zitiere kurz aus der entsprechenden Wikipedia-Seite: "Frank Schätzing studierte Kommunikation und war lange in der Werbebranche als Creative Director tätig. Unter anderem war er Geschäftsführer der von ihm mitbegründeten Kölner Werbeagentur Intevi." Ist dieser Mann qualifiziert, durch eine Sendung zu führen, die den Anspruch hat, die Zukunft der Forschng für die nächsten fünfzig Jahre darzustellen? Wohl kaum. Frank Schätzing ist ein erfolgreicher Autor der Belletristik, und sein literarisches Werk gehört in den Bereich der Wissenschaftsfiktion. Daß zwischen Fiktion und Wissenschaft ein Unterschied besteht sollte jedem halbwegs intelligenten Menschen klar sein, der Schätzings Bestseller "Der Schwarm" gelesen hat. Dieses Buch hat praktisch nichts mit Wissenschaft zu tun, aber dafür viel mit Fiktion, und ausgesprochen viel mit Marketing. Schätzing ist ein Schriftsteller, der seine Texte sehr gekonnt dem Geschmack und den Leseerwartungen seines Publikums anpaßt und dessen Bücher dementsprechend reißenden Absatz finden, doch mit Wissenschaft hat das wenig zu tun. Nicht einmal in Themen der Wissenschaftsethik oder Wissenschaftskritik, die immer Teil der Auseinandersetzung mit der Zukunft sein müssen, (die hier aber leider gänzlich fehlen), läßt seine Arbeit besondere Kompetenz vermuten (ganz im Gegensatz zur der solcher Vorgänger in seinem Genre wie Isaac Asimov oder Philip K. Dick, in dessen Nachfolge er sich vermutlich gerne sehen würde).

Das beste, was man über diese Fernsehreportage sagen kann ist, daß die Zwischenspiele realer Reportagen aus der Gegenwart, die scheinbar mehr als geduldetes notwendiges Füllmaterial für die phantasielose fiktive Rahmenhandlung dienen, wenigstens Bestandteile realer Wissenschaft vermitteln. Die Reportage über Asimo spiegelt immerhin in Ansätzen die realen Forschungsgegenstände wider, auch wenn man sich wahrhaft wünschte, die Fernsehmacher hätten den Großteil der Sendung dazu genutzt, die Zuschauer über das zu informieren, was tatsächlich Gegenstand der Forschung in den kommenden fünfzig Jahren sein wird, anstatt sie mit einer Soap-Opera vollzustopfen, die den übermäßigen Konsum absurder Vorabendserien wie "Emergency Room" und "X-Factor" erkennen läßt.

Mit dieser Produktion hat sich das öffentliche rechtliche Fernsehen (das immerhin einen Bildungsauftrag zu erfüllen hat) einmal mehr selbst ins Aus gespielt. Die Verquickung von Information und Fiktion in einer nicht mehr nachvollziehbaren Weise ist für jeden seriösen Redakteur unverzeihlich. Die Ausstrahlung dieser Sendung läßt den Schluß zu, daß es sich beim Zweiten Deutschen Fernsehen um keinen seriösen Sender (mehr) handelt.

Also kurz zusammengefaßt: Schaut Euch die Reportage ruhig an. In den Teilen, in denen die furchtbare Rahmenhandlung läuft, geht reinen Gewissens pinkeln oder Bier aus dem Keller holen, oder wenn Ihr nichts besseres zu tun wißt, schaltet den Ton ab und nutzt die Ruhe für ein kleines Nickerchen. Schaut Euch die wenigen realen Reportagen an, aber erwartet nicht, dabei allzuviel zu erfahren, denn das Fernsehen von heute scheint die Befürchtung zu haben, daß Zuschauer durch zuviel Information an einem Stück bleibende Schäden davontragen.

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